In meiner Praxis besuchen mich sehr viele Menschen, weil sie sich unsicher fühlen und unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden. Sie könnten sich nicht „selbst vertrauen“, sagen mir viele Menschen. Da mir dieses Thema aus der eigenen Biographie sehr bekannt ist, freue ich mich immer, wenn mich Menschen mit dieser Thematik besuchen … noch vor Jahren wäre die Vorstellung, mich in einem Forum wie diesem Blog öffentlich zu äußern, nahezu unvorstellbar gewesen. Und ja, wie man sieht, habe ich in dieser Beziehung vieles für mich erreichen können. Heute macht es mir großen Spaß, mich öffentlich zu Themen, die mich bewegen, zu äußern.
Bei sehr, sehr vielen Fragestellungen, weswegen sich Menschen sich an mich wenden, stehen die Themen „Selbstwert, Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen“ an erster Stelle. Viele Mensche berichten mir, dass sie mit den Fragestellungen, die sie dazu bewegen, mich zu Rate zu ziehen, besser umgehen könnten, wenn sie sich selbstsicherer fühlen könnten.
Aus diesem Grund habe ich mich sehr intensiv mit diesen Themen auseinander gesetzt. Ich habe einige Forschungsarbeiten zu diesen Themen durchgearbeitet. Dabei bin auf einen Mechnanismus zur Selbstwerterhöhung gestossen, dem ich lange selbst erlegen bin: dem „Self-handicapping“.
Was versteht man unter „Self-handicapping“?
„Self-Handicapping“ ist ein sehr eigentümlicher Mechnismus, um das Selbstwertgefühl zu erhöhen. Der Begriff bezeichnet eine Strategie, sich vor wichtigen Ereignissen selbst (unbewusst) in eine schlechte Ausgangssituation zu bringen. Ein Beispiel aus meiner eigenen Biographie: vor dem 2. Staatsexamen, dem seinerzeit anspruchsvollsten und aufwändigsten Examen im Medizinstudium, habe ich doch glatt in einer Buchdruckerei, in der ich über lange Strecken das Geld für die Fianzierung meines Studiums erarbeitet habe, auf bitten eines Freundes die Nachtschichten an einer Digitaldruckmaschine übernommen. Konkret hieß dies, nachts neben einer ratternden Druckmaschine zu sitzen und mich auf das wohl wichtigste Examen meines Lebens vorzubereiten. Ziemlich bescheuert, oder? – Ja, das sehe ich heute auch so. Die Strategie des „Self-handicapping“ birgt allerdings auch zwei entscheidende Möglichkeiten, den Selbstwert zu erhöhen:
- Wenn etwas nicht so optimal läuft, dann hat man eine gute „Ausrede“, um sich herauszureden.
- Wenn man erfolgreich ist, dann wiegt der gloreiche Sieg um so schwerer. Trotz der widrigen Umstände hat man es geschafft.
Mit dem heutigen Blick war meine damalige Strategie, auch wenn die großteils unbewusst geprägt war, purer Wahnsinn. Tröstlich ist lediglich, dass ich das Examen seinerzeit mit akzeptablem Ergebnis überstanden habe.
Viel Spass beim Bewahren-vor-Selbstbehinderung,
Doc Ramadani
…ach so, ich bin nicht der einzige, der diese geniale Strategie kennt? 😉
Vielleicht könntest du mal was dazu bloggen, wie man diese Strategie dauerhaft ändern kann?? Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass selbst wenn ich das in einem Bereich erkenne, und erfolgreich ändere, ich es dann doch wieder wo anders anwende. Ein putziger Teufelskreis…
Viele Grüsse,
Daniel
Ich gehe mal davon aus, dass das Hauptproblem dabei ist, dass diese Strategie nicht als solche gesehen und erkannt wird. Zumindest nicht im Vorfeld. Im Nachhinein ist dann ja die Einstellung: Ging ja trotzdem – also, was soll’s; äußerst (selbst-)beruhigend.
Auf alle Fälle ist es tröstlich – zumindest für mich -, dass diese Strategie doch etwas verbreiteter ist als ich ursprünglich dachte! 🙂
Dazu gefällt mir folgendes Zitat:
„In einer Fünftelsekunde kannst du eine Botschaft rund um die Welt senden. Aber es kann Jahre dauern, bis sie von der Außenseite eines Menschenschädels nach innen dringt.“
von Charles Kettering
Also, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Liebe Grüsse
Christine
Ich denke, es gehört mit in den Bereich Aufschieberitis oder als Fachwort: Prokrastination. Es scheint ein „Schutzmechanismus“, bereits als Kind angewendet, bei erhöhtem Druck, Überforderung, Angst etc. auszuweichen bzw. sein Verhalten zu torpedieren bzw. die gesetzen Aufgaben gar nicht erst anzugehen.
Dazu paaren sich dann noch innere Antreiber und eine kritische Richterstimme, die einen für das Verhalten auch noch runtermacht und man sich schlecht fühlt… ein netter Prozess, vor allem, wenn er in so wichtigen Phasen wie Diplomarbeit usw. auftritt. Das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl liegt dann meist am „Boden“.
Jeder Student kennt den Effekt, dass in der heißen Phase vor den Prüfungen alle möglichen Dinge erledigt sind, nur nicht gelernt wird.
Hallo Christine, Hallo Daniel, Hallo Michael,
vielen Dank für Eure antworten.
Ja, es ist manchmal echt heimtückisch, wenn einem da unbewusst immer wieder die selbe Strategie in die Quere kommt. Nach meiner Erfahrung hilft es schon sehr, sehr viel, so wie Daniel schreibt, wenn man es sich bewusst macht und darauf achtet, wann es einen wieder ereilt. Da kann man vielleicht noch rechtzeitig die Bremse reinhauen.
Und ja, die Strategie ist weiter verbreitet als erwartet. Nach meiner Erfahrung wird sie weniger häufig gebraucht, um sich „aufzubauen“, wenn es einem gelingt, dauerhaft ein stabiles Selbstwertgefühl (also Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen, soziale Kompetenz und soziale Netze) aufzubauen.
Ich bin schon am überlegen, ob ich nicht sowas wie ein kostenloses Internetseminar „Selbstwert-Training“ anbieten sollte. Ich habe mir schon einige hypnosystemisch- und verhaltenstherapeutisch-basierte Übungs- und Trainingsmöglichkeiten ausgedacht. Was denkt Ihr?
Schöne Grüße,
Euer Doc
Hallo Marco,
worauf wartest du? 🙂 Nur los!!!
Bin mir aber nicht sicher, ob man nur auf Grund eines schlechten – oder anderst ausgedrückt: nicht vorhandenem oder nicht gut ausgeprägten – Selbstwertgefühls die Stategie des „self-handycapping“ entwickelt. Es kommt mir eher wie ein „Helfersyndrom“ vor. 🙂
Schöne Grüße
Christine
Das ist mir ja völlig fremd! 😉