Vielleicht könnt Ihr Euch an meinen Blog-Beitrag „Expeditionen ins Reich der Persönlichkeit“ vom 28.03.2010, in dem ich den Blog von Tim A. Bohlen vorgestellt habe, erinnern. Tim und ich pflegen seit einiger Zeit eine inspirierende Internet-Bekanntschaft. Tim hat sich dazu hinreißen lassen, einen Gastbeitrag für meinen Blog zu schreiben. Dieser Artikel zeigt am Beispiel des japanischen Konzeptes wabi-sabi, warum nicht perfekt zu sein, viel schöner sein kann als Makellosigkeit. Ich danke Tim an dieser Stelle für den tollen Beitrag.
Und hier der Gastbeitrag zum Thema „Sei froh, wenn Du einen Sprung in der Schüssel hast“ von Tim:
Als Kind habe ich mein neues Spielzeug immer mit ans Bett genommen. Ich hab es gehütet, wie meinen Augapfel, das Geschrei war groß, wenn es einen Kratzer bekam oder gar kaputt ging. Ich wollte es einwandfrei, so wie es war, als ich es aus seiner Verpackungen holte und in meine Fantasiewelt aufnahm. Das Aussehen der Spielzeuge hat sich verändert, aber der Wunsch nach Makellosigkeit ist bis in Erwachsenenalter geblieben. Heute habe ich keine Action-Figuren oder Autos mehr, heute sind meine Spielzeuge meist elektronisch und werden Notebook, Handy oder MP3-Player genannt.
Was mehr als ein paar Kratzer hatte, wurde ausgetauscht. Es war ja auch so einfach, denn der Nachfolger hatte aber auch zu viele atemberaubende neue Funktionen. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt sah ich im Fernsehen einen Bericht über einen Künstler, der Gefäße herstellte und sie dann mit viel Mühe altern ließ. Dies war seine Kunstform – inspiriert vom japanischen Konzept des wabi-sabi. Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen, wie man etwas schön finden konnte, dass einen Sprung in der Schüssel hatte. Unter wabi-sabi verstehen die Japaner eine Art Schönheitsideal, dass den Wert des Gebrauchten hervorhebt. Durch die Spuren, die das Leben auf Dingen hinterlässt, erlangen diese Wert, sie erzählen eine Geschichte und zeigen, wie Ursache – beispielsweise Wind und Wetter – und Wirkung – das verwitterte und knorrige Aussehen eines alten Baumes – allgegenwärtig sind. So erzählt alles eine Geschichte, alles hat Patina und dies finden die Japaner schön. Ich heute auch. So machen doch gerade die Lachfältchen der Oma sie so liebenswürdig. Die Beule im Auto erzählt davon, wie eine brenzlige Situation doch noch einmal gut ausgegangen ist. Heute stören mich Kratzer nicht mehr so sehr, auch wenn ich mir – im Gegensatz zu dem Künstler – die Mühe mache, möglichst lange etwas von den Dingen des Alltages zu haben, so ärgere ich mich heute nicht mehr darüber, wenn etwas eine Geschichte zu erzählen hat. Im Gegenteil, denn selbst etwas Hüftspeck zum Frühlingsbeginn erzählt vom gemütlichen Zusammensein zu Weihnachten mit leckeren Plätzchen und einem (oder zwei) festlichen Essen mit Menschen, die mir am Herzen liegen. Was mir wichtig ist: Es geht mir nicht um das Extrem, sich gehen zu lassen oder unachtsam mit dem Eigentum umzugehen. Für das meiste habe ich lange gearbeitet. Es geht mir darum, die eigenen – und die der anderen – kleinen Schwächen zu akzeptieren, so wie sie sind und einfach das beste aus jedem Moment zu machen. Eigentlich auch ganz einfach.
Viel Spass mit diesem Gastbeitrag von Tim A. Bohlen,
Doc Ramadani
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